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[Rezension] Ich bin nicht tot von Anne Frasier

Montag, 27. November 2017

Rezension "Ich bin nicht tot" von Anne Frasier www.nanawhatelse.at



So wie ein Verrückter, der Kopfhörer trug, um die Stimmen auszublenden, strahlte sie etwas aus, das andere Menschen irritierte und ihnen klarmachte, dass sie anders war. Und wenn man es genau betrachtete, dann gab es möglicherweise nichts mehr, vor dem sie Angst haben müsste. Vielleicht war es in Wirklichkeit genau das, was sie von jedem anderen Menschen unterschied. Ihre Furchtlosigkeit, die nicht aus Mut, sondern aus einer gewissen Ambivalenz heraus entstanden war, weil sie einige der schrecklichsten Dinge erlebt hatte, die ein Mensch erleben konnte. 

aus: Ich bin nicht tot von Anne Frasier, Seite 87. Textrecht: Heyne


Klappentext: Er hatte dich drei Jahre in seiner Gewalt. Du denkst, du hast das schlimmste überstanden. Du denkst, dein Leben beginnt neu. Doch der wahre Albtraum beginnt erst jetzt. Textrecht: Heyne 


Rezension: Drei Jahre lang wird Jude Schilling, Ermittlerin der Mordkommission des Polizeipräsidiums von Minneapolis von einem Unbekannten gefangen gehalten und misshandelt. Als sich ihr eines Tages die unverhoffte Gelegenheit bietet, flieht sie. Doch eine Rückkehr in ihr altes Leben scheint unmöglich. Ihr damaliger Partner, ihr Job bei der Polizei, ihr Haus, ihr Vertrauen in sich und die Menschen – nichts von dem, was sie an ihrem früheren Leben liebte, ist noch da. Das einzige, das ihr Halt gibt, ist ihr Bestreben, ihren Entführer zu finden und den ungelösten Fall eines vermissten Mädchens, dem sie vor ihrem eigenen Verschwinden nachgegangen war, zu lösen … 

Anne Frasier ist mit Ich bin nicht tot ein packender Thriller gelungen, dem es stellenweise – und vor allem gegen Ende hin – zwar an Glaubwürdigkeit mangelt, dessen herausragende ProtagonistInnen jedoch viel wettmachen können. 

Gefühlt viel zu wenig erfährt man über die toughe Jude Schilling, die Umstände ihrer Entführung bleiben bis zuletzt ominös, in ihr Leben vor ihrer Gefangenschaft erhalten wir nur bruchstückhafte Einblicke. 

Die Vermissten-Fälle, an denen sie nach ihrer Rückkehr zur Polizei arbeitet, bilden das Handlungsgerüst, in das ihre eigene, persönliche Geschichte miteingeflochten wird. Das Verschwimmen von Rahmen- und Binnenhandlung, die häufigen Parallelen zwischen Judes Geschichte und den Schicksalen der vermissten Mädchen sorgen für eine rätselhafte, geheimnisvolle Grundstimmung. 


Der Tod brachte Verleugnung und Vorwürfe mit sich.
aus: Ich bin nicht tot von Anne Frasier, Seite 304. Textrecht: Heyne


Besonders mitreißend war – neben den leicht splatterhaften Vorkommnissen während Judes Ermittlungen – die zwischenmenschliche Entwicklung der Beziehung zwischen Jude und ihrem neuen Partner Detective Uriah Ashby und mitzuverfolgen, wie die junge Protagonistin nach Jahren, in denen sie Brutalität, Misshandlung und Grausamkeiten ausgesetzt war, wieder Schritt für Schritt zurück ins Leben findet. Doch auch hier kamen mir leider viele Aspekte zu kurz: so superheldenhaft und stark ProtagonistInnen auch sein mögen, die beschriebene Traumaverarbeitung im 1-2-3-Schnelldurchlauf wirkte auf mich unangebracht und schwer nachvollziehbar. 

Alles in allem ist Ich bin nicht tot ein solider Thriller mit vielen Spannungsmomenten, der in rasantem Tempo erzählt wird und zwei Handlungsstränge geschickt ineinander verlaufen lässt. Der Roman lässt sich in nur wenigen Stunden weglesen, was für seine Pageturner-Qualitäten spricht und unterhält – wenn man die Erwartungen nicht allzu hoch schraubt – gut. 


Persönliches Fazit: Ich bin nicht tot ist ein packender Thriller, der stellenweise leider etwas überladen und dadurch unglaubwürdig wirkt, dessen düstere Atmosphäre den Leser jedoch gekonnt mitreißt.








Autorin: Anne Frasier
Titel: Ich bin nicht tot
Originaltitel: The Body Reader
Übersetzung: An Katariina Lindemann
Einband: Paperback
Verlag: Heyne
Seitenanzahl: 432
ISBN: 978-3-453-43906-1