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[Rezension] Wintersong von S. Jae-Jones

Dienstag, 2. Januar 2018

Rezension "Wintersong" von S. Jae-Jones auf www.nanawhatelse.at


„Ihre Liebe wird so lange währen, wie sie noch atmen“, verkündete ich inbrünstig. Distel schnaubte. „Das sagen sie alle.“ 
Aus: Wintersong von S. Jae-Jones, Seite 340. Textrechte: ivi

Klappentext: Eine alte Legende, ein dunkles Reich unter der Erde und eine unmögliche Liebe.

Die 18-jährige Liesl hat früh gelernt, die Nacht zu fürchten, in der das alte Jahr stirbt. Sie ist mit der Sage um den faszinierenden wie schrecklichen Erlkönig aufgewachsen, der in jener Nacht auszieht, um ein Mädchen zu stehlen und es zu seiner Braut zu machen. Als ein unheimlicher, gut aussehender Fremder auftaucht und Liesls Schwester entführt, wird Liesls schlimmste Befürchtung wahr. Ihr bleibt keine andere Wahl, als dem Erlkönig in sein dunkles Reich zu folgen, denn nur sie kann ihre Schwester noch retten … Textrechte: ivi

Rezension: Um den sagenumwobenen Erlkönig ranken sich viele Legenden und spätestens seit Goethe ihm 1782 eine Ballade widmete, assoziiert man mit dem König der Elfen eine sowohl faszinierende wie auch schauderhafte Gestalt zwischen Naturgeist und Schreckgespenst. Der Protagonist des fantastischen Romans Wintersong von S. Jae-Jones hat also einen recht umfassenden motivgeschichtlichen Hintergrund, der beim Leser so manche Erwartung schürt.

Diese Erwartungen werden anfänglich auch alles andere als enttäuscht, denn der Erlkönig wird als ebenso gerissen wie liebenswert und verführerisch proträtiert, was zu konfliktreichen und verzwickten Handlungsverläufen führt, in denen Situationskomik nicht zu kurz kommt. 

Liesl, Sepperl, Käthe. Wer sich über die recht eigentümlich bis altertümlich anmutenden Namen wundert, dem sei verraten: das Setting erstreckt sich nicht nur über das düstere und verzauberte Reich der Kobolde unter Tage; vielmehr spielt der Roman zu großen Teilen auch in ländlichen Gebieten im Deutschland und Österreich eines längst vergangenen Jahrhunderts: ein unerwartet idyllischer und stimmiger Schauplatz für ein Romantasy-Debüt.

Liesl, die weibliche Hauptfigur, die (und das wird zigfach betont) äußerlich vollkommen reizlos ist, deren Herz jedoch lichterloh für die Musik brennt, muss sich mit dem durchtriebenen und teuflisch gutaussehenden König der Kobolde einlassen, um ihre über die Maßen hübsche Schwester, für die sie – so macht es zumindest den Anschein – meist eher grenzenlose Eifersucht und nicht bedingungslose Liebe zu empfinden scheint zu retten. 

Äußerst gelungen und spannungsreich ist die Verflechtung des Erlkönig-Motivs mit Anklängen an den Persephone-Mythos – als Fan der griechischen Mythologie ist man sogleich Feuer und Flamme für diese im wahrsten Sinne des Wortes sagenhafte Verstrickung.

Leider jedoch beginnt die Glaubwürdigkeit der Geschichte bald dahinzubröckeln wie eine alte, marode Mauer und der See an innovativen Ideen und mitreißenden Handlungssträngen, der angedeutet wird, rapide auszutrocknen, sodass man fortan in sehr seichten Gewässern watet. Das solide Handlungsgerüst fällt in sich zusammen, das Handeln der Figuren folgt keinerlei nachvollziehbarer Logik mehr, die knisternde Spannung verflüchtigt sich peu à peu bis schlussendlich nicht mehr allzu viel davon übrig bleibt.


„Da ist Musik in Eurer Seele. Eine wilde, ungezähmte Musik, die von mir erzählt. Sie trotzt allen Regeln und Gesetzen, die ihr Menschen ihr auferlegt. Sie wächst aus Eurem Innern heraus und ich möchte diese Musik befreien.“
Aus: Wintersong von S. Jae-Jones, Seite 38. Textrechte: ivi

So geht es nach einer unglaublich starken, temporeichen ersten Hälfte steil bergab.

In der zweiten Hälfte des Romans wird die Sprache schrecklich pathetisch, die Dialoge wirken aufgesetzt, dutzende anaphorische Satzanfänge reihen sich aneinander, auf eine gekünstelte Musikmetapher folgt die nächste und die nächste und die nächste (für musikalische Nackedeis gibt’s zum Schluss sogar ein Glossar der verwendeten musikalischen Begriffe). Inhaltlich könnten die Kapitel des zweiten Romanteils wohl auf wenige Seiten komprimiert werden, denn die spannende Auflösung des Rätsels um den Erlkönig, das sich zuvor so kunstvoll entspinnt, bleibt völlig aus. Die Handlung erlahmt, die aufgetanen Fragen versickern sang- und klanglos und unbeantwortet in der inhaltslosen Schwafelei, die die zweite Hälfte des Romans dominiert.

Wer – wie ich – von einem für sich stehenden Roman und nicht von einer Reihe ausgeht, wird das Buch verwirrt und enttäuscht zuschlagen. Da mag nach ausführlicher Recherche die Information, dass im kommenden Jahr eine Fortsetzung mit dem Titel Shadowsong erscheinen soll, für neugierige Leser, die sich von dem überbordend gravitätischen, etwas nervtötenden Stil nicht abschrecken lassen, ein Lichtblick sein. Bleibt also die Hoffnung, dass dieser Geschichte, die wirklich unglaublich viel (unausgeschöpftes) Potential besitzt, das grandiose Ende zuteil wird, das ihr gebührt. 


Persönliches Fazit: Wie ein Motor, der zuerst brav und beflissen seinen Dienst tut, nach und nach ins Stottern gerät und schließlich nur noch ein Keuchen von sich gibt, wenn man eigentlich Gas-Geben möchte, erschien mir der Auftakt der Wintersong-Reihe. Zwar bin ich ganz verliebt in die Verflechtung mythologischer Bausteine, die gerade die erste Hälfte des Romans zu einem Lesevergnügen machen, doch versalzen der für meinen Geschmack zu überladene Stil und die vielen unausgegorenen Ideen die Suppe dennoch gewaltig. 

Aufgrund meiner grenzenlosen Neugierde und der genannten Qualitäten werde ich den zweiten Teil der Wintersong-Reihe definitiv lesen, kann den Auftakt jedoch leider (und darüber bin ich selber enttäuscht) nicht uneingeschränkt weiterempfehlen.


Rezension "Wintersong" von S. Jae-Jones auf www.nanawhatelse.at








Autor: S. Jae-Jones
Titel: Wintersong
Einband: Klappenbroschur
Verlag: ivi
Seitenanzahl: 464
ISBN: 978-3-492-70458-8